Ist die Verlustverrechnung bei unterjährigem Beteiligungsverkauf möglich?

Kapitalgesellschaften können Verlustvorträge grundsätzlich nicht mehr nutzen, wenn innerhalb von fünf Jahren mehr als 50 % des Anteilsbesitzes auf einen Erwerber übergehen (quotaler Untergang bei über 25 % bis 50 %). Ungeklärt ist, wie die Verlustverrechnung bei einem unterjährigen Anteilseignerwechsel durchzuführen ist. Ein positives Signal haben das Finanzgericht Münster und das Finanzgericht Hessen gesetzt. Danach gilt die Verlustabzugsbeschränkung nicht für Gewinne des laufenden Wirtschaftsjahres, die bis zum Beteiligungsverkauf angefallen sind.
Das Problem soll am folgenden Beispiel verdeutlicht werden:
Zum 31.12.2009 verfügt die A-GmbH über einen Verlustvortrag in Höhe von 100.000 EUR. Am 30.09.2010 veräußert der Alleingesellschafter A seine Anteile an den neuen Gesellschafter B. Auf den 30.09.2010 stellt A einen Zwischenabschluss auf, der einen Gewinn von 100.000 EUR ausweist.
Strittig ist nun, ob der Verlustvortrag mit dem Gewinn verrechnet werden kann oder ob der Verlust infolge des schädlichen Beteiligungserwerbs untergeht.
Ansicht der Finanzverwaltung
Im Ergebnis behandelt die Verwaltung anteilige Gewinne und Verluste profiskalisch unterschiedlich:

  • Erfolgt der schädliche Beteiligungserwerb während des laufenden Wirtschaftsjahres, unterliegt ein bis zu diesem Zeitpunkt erzielter Verlust der Verlustabzugsbeschränkung. Demzufolge gehen sowohl der Verlustvortrag als auch der anteilige unterjährige Verlust des bisherigen Anteilseigners unter.

Beachte: Der Verlust des Wirtschaftsjahres, in dem das schädliche Ereignis eingetreten ist, wird von der Verwaltung grundsätzlich zeitanteilig aufgeteilt. Die Kapitalgesellschaft kann jedoch auch eine wirtschaftlich begründete andere Aufteilung (z.B. durch einen Zwischenabschluss) vornehmen.

  • Wird bis zum Beteiligungserwerb hingegen ein Gewinn erzielt, soll der bisherige Anteilseigner diesen nicht mit seinem Verlustvortrag verrechnen können, da der Gewinn bereits dem neuen Anteilseigner wirtschaftlich zuzurechnen sein soll.

In Bezug auf das Beispiel hat diese Sichtweise zur Konsequenz, dass der Verlustvortrag von 100.000 EUR vollständig untergeht und der Gewinn somit voll zu versteuern ist.
Rechtsprechung der Finanzgerichte
Das Finanzgericht Münster vertritt eine andere Meinung als die Verwaltung und stellt dabei auf den Sinn und Zweck der Regelung zum Verlustabzug bei Kapitalgesellschaften sowie die Gesetzesbegründung ab, wonach die in früherer Zeit erwirtschafteten Verluste für das neue wirtschaftliche Engagement unberücksichtigt bleiben sollen. Demzufolge wird nur der Verlustabzug für einen nach dem schädlichen Anteilseignerwechsel entstandenen Gewinn ausgeschlossen. Mit einem bis zum Zeitpunkt des Beteiligungserwerbs entstandenen Gewinn kann der Verlustvortrag noch verrechnet werden.
Auch das Finanzgericht Hessen hat sich in einem aktuellen Beschluss gegen die Verwaltungsmeinung gestellt. Für das Finanzgericht Hessen ist eine konsequente Umsetzung des Verlustverrechnungsverbots nämlich nur dann gewährleistet, wenn die bis zum schädlichen Beteiligungserwerb erwirtschafteten Gewinne und Verluste miteinander verrechnet werden können.
Hinweise
In geeigneten Fällen sollte gegen eine unterbliebene Verlustverrechnung Einspruch eingelegt werden. Da gegen die Entscheidung des Finanzgerichts Münster die Revision anhängig ist, kann das Verfahren ruhen. Zum Nachweis eines bis zum Anteilseignerwechsel angefallenen anteiligen Gewinns bietet es sich an, einen Zwischenabschluss aufzustellen.
Das Finanzgericht Hamburg ist sogar darüber hinaus der Auffassung, dass die Versagung der Verlustverrechnung bei einem Gesellschafterwechsel insgesamt verfassungswidrig ist und hat diese Frage dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt.
Beachte: In diesem Punkt besteht allerdings Uneinigkeit zwischen den Finanzgerichten. Für das Finanzgericht Sachsen ist es nämlich verfassungskonform, dass der Verlustabzug bei einem Anteilseignerwechsel von mehr als 50 % entfällt (FG Münster, Urteil vom 30.11.2010, Az. 9 K 1842/10 K, Rev. unter BFH Az. I R 14/11; FG Hessen, Beschluss vom 7.10.2010, Az. 4 V 1489/10; FG Hamburg, Beschluss vom 4.4.2011, Az. 2 K 33/10; FG Sachsen, Urteil vom 16.3.2011, Az. 2 K 1869/10; BMF-Schreiben vom 4.7.2008, Az. IV C 7 – S 2745 a/08/10001, Rz. 31 ff.).